Immer diesen jungen Leute! Diese jungen Leute?!

Ein gemeinsamer Beitrag mit Romina Eggert, Vorsitzende der Ruhr-Jusos und frisch gewähltes Ratsmitglied in Essen. Wir beide sind außerdem am 17. September ins Ruhrparlament gewählt worden

 

Im Nachgang zur Kommunalwahl wird insbesondere bei der SPD die Frage diskutiert: wie wir wieder Jungwählerinnen und Jungwähler stärker für uns begeistern können.

Diese jungen Leute?!

Was auffällt ist, dass immer von derselben Stereotype aus gedacht wird: die jungen Leute haben alle Abitur gemacht, überlegen gerade Sozialwissenschaften zu studieren und/oder müssen ihre Eltern zwingen, dass sie nicht mehr von ihnen mit dem Auto zur Schule gefahren werden. Sie machen sich nämlich als begeisterte Fridays-For-Future-Aktive um das Klima Sorgen. Ausgehend von dieser Stereotype reift unter Sozialdemokraten die „Erkenntnis“, dass man als grüne SPD mehr Erfolg bei den jungen Leute habe.

Es handelt sich dabei jedoch um eine fatale Fehleinschätzung:

1.) Auch wenn als zukunftsrelevante Themen für junge Menschen Umweltschutz und Klimawandel immer mehr an Bedeutung gewonnen haben, werden die Interessen eines Großteils der Jugendlichen ausgeklammert: Schulabschluss, ein sicherer Ausbildungsplatz und damit eine Chance auf ein gutes Leben erhalten. Ein gutes und sicheres Leben für sich und andere Menschen steht im Fokus. (Shell-Studie 2019)

2.) Viele dieser Jugendlichen erarbeiten sich hart über Nebenjobs oder das Ausbildungsgeld ihren Führerschein und ihr erstes eigenes Auto – ohne die Hilfe von der Eltern, denen dafür einfach das Geld fehlt. Und da sie nicht so viel Überfluss in Kindheit und Jugend erlebten, stellt dieses Auto für sie einen Wert dar. Es ist das Resultat eigener Arbeit, es gibt ihnen einen Status und Unabhängigkeit. Parking Days, die per se unterstellen „Dein Autofahren ist schlecht!“ wecken in diesen Jugendlichen keine Begeisterung sondern Befremden aus. Ohne, dass das beabsichtigt wird, wird ihr Lebensentwurf angegriffen.

Junge Leute wollen kein Auto mehr fahren.

3.) Während sich die ersten Fridays-For-Future-Aktivisten Gedanken über Bundestagsmandate machen, kommt diese Gruppe in der aktuellen politischen Debatte überhaupt nicht vor. Einige Parteistrategen, egal ob auf kommunaler oder Bundesebene, still und heimlich damit abgefunden, dass sie daran auch gar nicht mehr teilhaben werden. Fatal, denn: diese Jugendlichen braucht, auch wenn ihnen das kaum klar ist, eine soziale Bewegung. Gibt es ein Jugendzentrum, das auch mal bis in die Abendstunden offen hat? Gibt es freie Sportangebote? Bin ich auch ohne Abi etwas wert? Kann ich vom Geld in meiner Ausbildung auch mal die neuesten Sneaker kaufen wie die vom Gymnasium? Es ist nicht mehr und nicht weniger als der Materialismus, der immer schon Menschen zur SPD führte: mehr Urlaub, mehr Geld, bessere Arbeitsbedingungen.

Kann ich von meinem erlernten Beruf einmal leben? Nicht nur die Klimafrage bewegt junge Menschen.

Dieser Umstand verneint nicht, dass die Klimafrage eine der entscheidendsten und drängendsten Fragen unserer Zeit ist, die man mit Entschlossenheit beantworten muss. Nur: Wie kriegt man die Lebensentwürfe junger Aufsteiger, die gerade um ihren Platz in der Gesellschaft ringen, die einen Aufholbedarf gegenüber denjenigen verspüren, die schon von der Wiege an gut waren, mit den Anforderungen von Klimaschutz zusammen?
Diese Frage muss in der SPD stärker aufgegriffen werden. Das bedeutet nicht zuletzt, dass SPD-Funktionäre weniger von den Bedürfnissen des eigenen, sondern denen des sozialen Milieus her denken müssen, die sie immer vertreten hat. Die SPD ist eine soziale Bewegung und der Mensch steht bei uns im Fokus. Von der sozialen Frage her beantwortet sie die ökologische nicht umgekehrt.